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Generationenvertrag / Generationengerechtigkeit

In seinem Hintergrundartikel kommt Hans-Richard Reuter nach Begriffsklärungen, historischen Erläuterungen und dem Aufzeigen aktueller Kontroversen zu zwei sozialethisch begründeten Schlussfolgerungen:

·        Dem Ausgleich zwischen Personen mit und ohne kontinuierlichem Arbeitsverhältnis steht der erwerbsarbeitsgesellschaftliche Zuschnitt der sozialen Sicherungssysteme entgegen. Wenn Vollbeschäftigung nicht mehr gewährleistet werden kann und die Flexibilisierung der Beschäftigungsverhältnisse fortschreitet, müssen soziale Sicherung und Erwerbstätigkeit ein Stück weit entkoppelt werden. Die rechtliche Garantie der materiellen Mindestbedingungen für ein menschenwürdiges Leben wäre weniger an den Erwerbsstatus als an den Staatsbürgerstatus anzuknüpfen, etwa durch eine steuerfinanzierte Grundsicherung. Darüber hinaus bedarf es der Erhaltung funktionsfähiger beitragsfinanzierter öffentlicher Systeme der Pflichtsolidarität. Sie sind ein Gebot der Gerechtigkeit, da die ökonomische und gesellschaftliche Arbeitsteilung allseitige Abhängigkeit voraussetzt und es sich bei sozialer und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit nur teilweise um individuelles Verdienst, zum guten Teil dagegen um das Resultat einer günstigen Gesellschaftsform handelt. Sozialbeiträge sind der Preis für die Bewahrung entfaltungsfreundlicher demokratischer Lebensformen und Institutionen, an denen alle partizipieren und zu denen alle beitragen müssen. Dass die Gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland Ausnahmen von der Versicherungspflicht für bestimmte Berufsgruppen wie Beamte oder Selbständige und Beitragsbemessungsgrenzen für höher Verdienende kennt, erscheint in dieser Perspektive problematisch.

·        Dem Ausgleich zwischen Familien und Kinderlosen sowie zwischen den Geschlechtern steht entgegen, dass der institutionalisierte Generationenvertrag mit der Normalität der Familie als sozialer Funktionseinheit rechnet. Nimmt die Akzeptanz dieser Lebensform ab, so geht dies mit einer zunehmenden Schlechterstellung der existierenden Familien einher. Verpflichtungsgrund für eine familienbezogene Umverteilung ist der Umstand, dass alle Kinder und Jugendlichen um ihrer gleichen Menschenwürde willen ein Recht auf möglichst gleiche Lebenschancen besitzen. Vorrangiges Ziel familienpolitischen Ausgleichs ist demnach nicht die Entschädigung von Eltern für ihren Naturalbeitrag, sondern die Stärkung von Erziehungskraft um der Kinder willen. Dem Recht aller Kinder auf gleiche Verwirklichungschancen korrespondiert die Pflicht aller Erwachsenen, ihnen je nach Leistungsfähigkeit zu diesem Recht zu verhelfen. Der (Vor-)Finanzierung von Erziehungskosten muss deshalb - wie im ursprünglichen Schreiber-Plan - in erster Linie außerhalb des umlagefinanzierten Versorgungssystems, also im Rahmen des allgemeinen Familienlastenausgleichs Rechnung getragen werden. Dies schließt innerhalb der Gesetzlichen Rentenversicherung moderate Maßnahmen wie den Einbau eines demographischen Faktors in die Rentenformel und eine Anrechnung von Erziehungszeiten als Nachteilsausgleich nicht aus; von zentraler Bedeutung ist jedoch hier die Einrichtung einer eigenständigen Alterssicherung aller Erwerbstätigen unabhängig von Familienstand und Lebenssituation, die die Vereinbarkeit von familialen Tätigkeiten und Beruf ermöglicht.

  • Generationenvertrag / Generationengerechtigkeit | von Hans-Richard Reuter

    Upload am: 25.08.2010


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Publikationsdatum dieser Seite: Donnerstag, 9. März 2017 13:47